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Industrie 4.0, Teil 2: Wo führt das alles hin? – Willkommen in der Smart Factory!

Im „Teil 1: Das Zukunftsprojekt der Bundesregierung auf der Hannover Messe 2015“ unseres Beitrags zu Industrie 4.0 haben wir das Forschungsprojekt der Bundesregierung genauer betrachtet: Ziele, beteiligte Partner etc.

Wem all diese Ausführungen zu abstrakt und vage waren, dem wird das Buzzword „Smart Factory“ auf die Sprünge helfen. Analog zum bereits recht bekannten Konzept des Smart Home[1] (vernetztes, intelligentes Wohnen und integrierte Haussteuerung, die alle Komponenten für die Steuerung und Automatisierung von Anlagen und Geräten einschließt), geht es dabei um die Vernetzung und integrierte Steuerung aller Beschaffungs-, Produktions- und Logistikprozesse der industriellen Fertigung.

Laut des „After Show Reports der Hannover Messe 2015“ ließ diese „die Vision der Smart Factory konkret werden. In der Fabrik der Zukunft tauschen Maschinen und Werkstücke permanent Informationen aus und sorgen automatisiert und intelligent für optimale Ergebnisse und effiziente Abläufe.“[2] Auf der Messe waren diverse Produktionslinien zu sehen, die das demonstrierten. Der Technologiekonzern Siemens zeigte mit seiner „Collaboration Platform“ namens TeamCenter, wie kleine Parfümflaschen an unterschiedlichen Plätzen mit verschiedenen Flüssigkeiten befüllt und mit einem jeweils individuellen Etikett beklebt werden. Die heutige Massenfertigung bestückt dagegen eine Anlage nur für eine Sorte Parfüm mit Flüssigkeit und Etikett. Die Collaboration Platform ermöglicht die viel effizientere Fertigung nach dem Industrie 4.0-Prinzip mit der Integration der verschiedenen beteiligten Software-Module. Karlheinz Kaul von Siemens erklärt: „Damit können sie die Daten von Anfang verwenden. Die Daten, die in der Entwicklung erzeugt werden, werden in der Fertigung weiter benutzt. Damit haben Sie ein durchgängiges Datenmodell und sind sehr viel effizienter.“[3]

Roboter (c) croXXing 2015
Roboter (c) croXXing 2015

Doch nicht nur Großkonzerne wie Siemens sind in der Lage, solche neuen Fertigungskonzepte umzusetzen. Mittelständische Unternehmen haben alleine vielleicht nicht die Möglichkeit, solche komplexen Anlagen zu entwicklen, aber gemeinsam haben sie ebenfalls die Chance, „Smart Factories“ zu konzipieren. Auf der Hannover Messe tat sich beispielsweise der Schaltschrank-Hersteller Rittal mit Phoenix Contact, einem Hersteller für Verbindungselemente, und dem Software-Entwickler Eplan zusammen, um eine Produktionslinie zu zeigen. Thomas Weichsel von Eplan vergleicht diese Art der Fertigung mit der Konfiguration eines Schuhs: „Da können Sie einen unterschiedlichen hohen Spann definieren, unterschiedliche Farben, flache oder hohe Absätze. Die Maschine würde sich das anschauen und würde sagen: Okay, ich habe alles da, ich kann auch technologisch alles umsetzen, ich mach das jetzt.“[4]

Mit itelligence, einem der international führenden IT-Komplettdienstleister im SAP-Umfeld mit Hauptsitz in Bielefeld, war die OWL-Region zum Thema ebenfalls vertreten. Gemeinsam mit zwei Forschungsinstituten der RWTH Aachen und dem Partner Ubisense, einem Anbieter für ortungsgesteuerte Fertigungslösungen aus Großbritannien, zeigte itelligence zwei Exponate: Zum einen eine ortungsbasierte Visualisierung und Materialflussverfolgung mit „Real-Time Locating Systems“ (RTLS)-Technologie von SAP, und zum anderen 3D-Montageanleitungen auf und mit mobilen Touch-Screens, die in die SAP ERP-Anwendung integriert werden. Beide Lösungen sind bereits in der Demonstrationsfabrik der RWTH, dem Kernstück der Partnerschaft, im Einsatz. „itelligence und seine Partner präsentieren hier, als erste Anbieter in Hannover, bereits Industrie 4.0 als Option für den Mittelstand,“ behauptet Markus Pätz, SAP Programm Manager und Themenverantwortlicher Industrie 4.0 der itelligence AG, in einer Pressemeldung des Unternehmens und fügt hinzu: „Unsere These: Die Zeit für Industrie 4.0 ist reif, denn die Technik ist inzwischen in der Lage, Daten und Semantik auszutauschen und auszuwerten. Wir sprechen seit dieser Hannover Messe nicht mehr über Anforderungen von Morgen, die eines fernen Tages umgesetzt werden, sondern über heutige Anforderungen und Umsetzungen einer intelligenten Industrie 4.0 im Einsatz.“[5]

Was noch fehlt, sind Standards, um die Integration von Software- und Produktionsmodulen zu erweitern und zu vereinfachen. Und qualifiziertes Fachpersonal, denn ohne Menschen läuft auch die Smart Factory nicht rund. Daher ist der Punkt Qualifizierung im Programm des BMBF ja auch so wichtig: Automatisierte Produktionsprozesse übernehmen die Arbeit ungelernter Arbeiter, während qualifizierte Kräfte künftig mit Robotern und intelligenten Anlagen effizient zusammen arbeiten sollen.

 

Zukunftsmusik, Wirklichkeit oder Hype?

Das Interesse der Besucher an Industrie 4.0 war zur Freude der Hannover Messe groß, die Informationsveranstaltungen platzten aus allen Nähten. Als ein Beispiel sei das 9. Deutsch-Japanische Wirtschaftsforum[6] genannt: Es hatte sich auf 250 Teilnehmer vorbereitet und wurde mit 400 Anmeldungen überwiegend sehr interessierter Japaner schlichtweg überwältigt.

9. DJW 2015 (c) croXXing 2015
9. DJW 2015 (c) croXXing 2015

„Von der Hannover Messe 2015 geht eine zentrale Botschaft aus: Industrie 4.0 ist in der Gegenwart angekommen. Dass dies für sämtliche Branchen gilt, ist in Hannover mehr als deutlich geworden,“ resümiert Dr. Jochen Köckler, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Messe AG im After Show Report der Messe. Und die Zukunftsvisionen gehen über die Smart Factory sogar noch hinaus: „Nicht nur Produktion und Fabriken sind vernetzt. Auch die Energiesysteme werden mit hoher Geschwindigkeit intelligent und ermöglichen so die Energiewende überhaupt erst. Denn damit gehen immer mehr dezentrale Stromerzeuger ans Netz – seien es Wind-, Solar-, Wasserkraft- oder Biogasanlagen.“[7]

In einem Interview mit McKinsey zum Thema Internet der Dinge erklärt Siegfried Dais[8], Gesellschafter der Robert Bosch Industrietreuhand KG (RBIK), „dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Produktionswelt immer mehr vernetzt wird, bis schließlich alles mit allem vernetzt sein wird“.[9] Der englische Wikipedia-Artikel zu „Industry 4.0“ – der, nebenbei bemerkt trotz der Tatsache, dass Industrie 4.0 ein deutsches Konzept ist, deutlich ausführlicher und besser ausfällt als sein deutsches Gegenstück – zieht daraus den folgenden Schluss: „Netze und Prozesse sind bislang auf eine Fabrik beschränkt. Aber in einem Industrie 4.0-Szenario wird es diese Begrenzungen auf einzelne Fabriken nicht mehr geben. Stattdessen werden sie aufgehoben, um verschiedene Fabriken oder gar ganze geografische Regionen miteinander zu vernetzen.“[10]

Doch während die Bundesregierung und die Hannover Messe sich Schwung durch Industrie 4.0 erhoffen, erheben sich kritische Stimmen aus der Wirtschaft. Gleich zwei noch ganz frische Studien von Roland Berger und McKinsey und vom BITKOM zeigen auf, wo es mit den schönen Ideen von Industrie 4.0 noch hakt. Und Wirtschaftsbosse beklagen öffentlich, dass Deutschland bei der digitalen Revolution das Rennen bereits verloren habe.

Wir wollen uns dieser Kritik in einem weiteren Beitrag zum Thema annehmen und hoffen, dass Sie wieder bei uns vorbei schauen, denn uns interessiert Ihre Meinung zu Industrie 4.0: „Schöne neue Welt“ oder Utopie, Zukunftsmusik oder schon Wirklichkeit, Hype oder zukunftsweisend?

Wir freuen uns auf einen regen Meinungsaustausch!

[1] “Smart Home :: smart home :: ITWissen.info.” [Online]. Available: http://www.itwissen.info/definition/lexikon/E-Home-eHome-electronic-home.html. [Accessed: 11-May-2015].

[2] “After Show Report – HANNOVER MESSE.” [Online]. Available: http://www.hannovermesse.de/de/news/news/aktuelle-meldungen/after-show-report.xhtml [Accessed: 11-May-2015].

[3] “Hannover Messe: Wie funktioniert eigentlich Industrie 4.0? | Wirtschaft | DW.DE | 14.04.2015,” DW.DE. [Online]. Available: http://www.dw.de/hannover-messe-wie-funktioniert-eigentlich-industrie-40/a-18380557. [Accessed: 17-Apr-2015].

[4] ebd.

[5| “Hannover Messe 2015 | Pressemitteilung itelligence AG.” [Online]. Available: http://www.presseportal.de/pm/24336/2988542. [Accessed: 20-May-2015].

[6] “9. Deutsch-Japanisches Wirtschaftsforum – Veranstaltung – HANNOVER MESSE 2015.” [Online]. Available: http://www.hannovermesse.de/veranstaltung/9.-deutsch-japanisches-wirtschaftsforum/TAG/60861. [Accessed: 11-May-2015]; siehe auch “9. Deutsch-Japanisches Wirtschaftsforum – www.ecos-consult.com – 9. Deutsch-Japanisches Wirtschaftsforum.” [Online]. Available: http://www.ecos-consult.com/gjef2015. [Accessed: 11-May-2015].

[7] “Abschlussbericht 2015 – HANNOVER MESSE.” [Online]. Available: http://www.hannovermesse.de/de/news/after-show-report/abschlussbericht/. [Accessed: 11-May-2015].

[8] “Siegfried Dais,” Wikipedia. 12-Feb-2015. [Online]. Available: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Siegfried_Dais&oldid=138745230. [Accessed: 11-May-2015].

[9] “It is highly likely that the world of production will become more and more networked until everything is interlinked with everything else.” in: M. Löffler and R. Tschiesner, “The Internet of Things and the future of manufacturing | McKinsey & Company,” Markus Löffler and Andreas Tschiesner. [Online]. Available: http://www.mckinsey.com/insights/business_technology/the_internet_of_things_and_the_future_of_manufacturing. [Accessed: 11-May-2015].

[10] „Networks and processes have so far been limited to one factory. But in an Industry 4.0 scenario, these boundaries of individual factories will most likely no longer exist. Instead, they will be lifted in order to interconnect multiple factories or even geographical regions.“ in: “Industry 4.0,” Wikipedia, the free encyclopedia. 02-May-2015. [Online]. Available: http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Industry_4.0&oldid=660494979. [Accessed: 11-May-2015].

Folge Margarete Keulen:
Bereits seit 2000 ist die ausgebildete PR-Referentin und freiberufliche PR-Beraterin Margarete Keulen in der ITK-Branche tätig und berät verschiedene Unternehmen in der IT, Telekommunikation und Industrie – von kleinen Unternehmen und Hidden Champions bis hin zu Global Playern. Im August 2005 kam sie als Marketing Communications Manager zur Bielefelder SEH Computertechnik GmbH, einem Spezialisten für Netzwerkdruck und USB-to-Network-Lösungen. Sie hat zahlreiche Fachartikel in IT-Medien veröffentlicht und liebt die Herausforderung, komplexe technische Sachverhalte und Themen verständlich und übersichtlich zu kommunizieren.